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05.03.2020 – Polit-X-Blog
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Hintergrund: Merkmale des Deutschen Bundestages

Der Deutsche Bundestag verfügt über eine herausragende Stellung innerhalb des deutschen Verfassungsgefüges, da er als einziges Verfassungsorgan direkt vom Volk gewählt wird. Der Bundestag ist maßgeblich, in Zusammenarbeit mit dem Bundesrat, für die Gesetzgebung verantwortlich und wählt die BundeskanzlerIn. In diesem Beitrag wird die Rolle des Deutschen Bundestags mithilfe politikwissenschaftlicher Konzepte eingeordnet und seine zentralen Merkmale werden herausgearbeitet.

von Verena Teuber

Typologie demokratischer Regierungssysteme

In der Politikwissenschaft wird in der Regel das parlamentarische vom präsidentiellen Regierungssystem unterschieden (Steffani 1995). Ein weiterer Typus ist die semi-präsidentielle Regierungsform (Furtak 2018). Eine alternative Unterscheidung in Konsens- und Mehrheitsdemokratie bietet Lijphart (1999) an.

Parlamentarisches System

Das wichtigste Merkmal eines parlamentarischen Systems ist die mögliche Abberufbarkeit der Regierung durch das Parlament. Dies kann beispielsweise durch ein Misstrauensvotum mit zwingender Rücktrittsfolge geschehen. Diese Konstellation hat zur Folge, dass die Regierung vom Parlament abhängig ist und somit ständig über eine tragende Mehrheit innerhalb des Parlaments verfügen muss. Die parlamentarische Kontrolle der Regierung wird dabei von der Opposition wahrgenommen. Ein weiteres zentrales Merkmal ist die doppelköpfige Exekutive. Das heißt, es gibt eine Aufgabenteilung zwischen Staatsoberhaupt und RegierungschefIn.

Präsidentielles System

In einem präsidentiellen Regierungssystem hingegen kann das Staatsoberhaupt nicht durch das Parlament abberufen werden. Exekutive und Legislative sind in getrennten Wahlen direkt vom Volk legitimiert. Anders als beim parlamentarischen System ist das vom Volk gewählte Staatsoberhaupt zugleich auch ChefIn der Regierung.

Parlamentarische Demokratie Präsidentielle Demokratie
Abberufbarkeit der Regierung Nicht-Abberufbarkeit der Regierung
Doppelköpfige Exekutive Geschlossene Exekutive
Abhängigkeit der Regierung von Parlamentsmehrheit Unabhängigkeit der Regierung von Parlamentsmehrheit
Staatsoberhaupt indirekt gewählt Staatsoberhaupt direkt gewählt
Bsp.: Großbritannien, Deutschland Bsp.: USA

Semi-präsidentielles System

Weist ein Regierungssystem eine Kombination struktureller Elemente eines parlamentarischen und präsidentiellen Systems auf, wie es beispielsweise in Frankreich der Fall ist, spricht man von einem semi-präsidentiellen System. Wie das parlamentarische System verfügt auch das semi-präsidentielle über eine doppelköpfige Exekutive; wie stark der jeweilige Einfluss von Staatsoberhaupt (PräsidentIn) und RegierungschefIn innerhalb der Regierung ist, hängt von der jeweiligen Mehrheitskonstellation im Parlament ab. Die Stellung des Staatsoberhauptes ist dadurch legitimiert, dass er oder sie direkt vom Volk gewählt wird. Die Regierung hingegen wird vom Parlament eingesetzt und kann von ihm auch wieder abberufen werden.

Konsens- und Mehrheitsdemokratie

Arend Lijphart (1999) legt mit der Unterscheidung in Konsens- und Mehrheitsdemokratien eine andere Konzeption entlang zweier weiterer Idealtypen vor. Diese bieten die Möglichkeit, auch demokratische Entwicklungsprozesse zu analysieren. Konsensdemokratien zeichnen sich hierbei durch Machtteilung aus, Mehrheitsdemokratien hingegen durch Machtkonzentration. Eine reine Konsensdemokratie weist folgende Strukturmerkmale auf: Die Regierung hat die Aufgabe, die vielfältigen gesellschaftlichen Interessen möglichst umfassend zu repräsentieren und zu berücksichtigen. Dies geschieht durch ein Vielparteiensystem, das mit einem Verhältniswahlrecht gewählt wird und welches in der Regel zu einer Regierungskoalition führt. Ein Zweikammersystem stützt dabei das Kräftegleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative. Um eine Verfassungsänderung herbeizuführen, bedarf es meist einer zweidrittel Mehrheit und ein unabhängiges Verfassungsgericht überprüft, ob Gesetze verfassungskonform sind.

Reine Mehrheitsdemokratien hingegen kennzeichnet, dass eine Koalitionsbildung nicht nötig ist; die Regierungspartei wird per Mehrheitswahl bestimmt. Die Exekutive, also die Parlamentsmehrheit und die daraus hervorgehende Regierung, verfügt über großen politischen Spielraum, unter anderem kann die Verfassung oftmals mit einfacher Mehrheit geändert werden. Diese beiden von Lijphart beschriebenen Formen stellen allerdings theoretische Idealtypen dar, das heißt, dass sie in Reinform in der Realität so gut wie nie auftauchen. Dennoch bietet diese Einteilung die Möglichkeit, Differenzen und Entwicklungen von demokratischen Systemen systematisch in den Blick zu nehmen (Salzborn 2012).

Deutschland: eine parlamentarische Demokratie

Mit einer doppelköpfigen Exekutive bestehend aus BundespräsidentIn und BundeskanzlerIn ist Deutschland ein parlamentarisches Regierungssystem. Außerdem ist Deutschland als Konsensdemokratie einzuordnen, denn das deutsche Regierungssystem ist auf Machtbalance und Stabilitätssicherung ausgelegt. Die Stellung des Staatsoberhauptes ist sehr schwach, er oder sie wird nicht direkt gewählt, spielt eine nur geringe Rolle bei der Regierungsbildung und erfüllt im Wesentlichen repräsentative Aufgaben.

Um das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland zu klassifizieren, fällt vielfach der Begriff der „Kanzlerdemokratie“. Dadurch wird die besondere Stellung der BundeskanzlerIn betont, die auf folgenden Merkmalen beruht: Er oder sie entscheidet über die politische Zielsetzung der Regierung (Richtlinienkompetenz). Außerdem legt die BundeskanzlerIn die Größe und den Zuschnitt der Ministerien fest und schlägt MinisterInnen vor. In der Verfassungswirklichkeit verfügt der Bundeskanzler allerdings zumeist über eine schwächere Position, als formal verfassungsrechtlich verankert. Dies ist darauf zurückzuführen, dass auf die Programmatik des Koalitionspartners Rücksicht genommen werden muss. Im Koalitionsvertrag werden außerdem Anzahl und Zuschnitt der Ministerien festgelegt; der Koalitionspartner bestimmt des Weiteren ihre MinisterInnen selbst.

Der Bundestag, also das bundesdeutsche Parlament, ist das einzige Verfassungsorgan, das direkt vom Volk gewählt wird. Kennzeichnend für parlamentarische Demokratien ist, dass die Regierung aus der Parlamentsmehrheit hervorgeht. Daraus folgt, dass es in Deutschland keine klassische Gewaltenteilung im Sinne einer strikten Trennung zwischen Legislative und Exekutive gibt, vielmehr besteht eine Gewaltenverschränkung. Der Dualismus besteht hingegen zwischen Parlamentsmehrheit und parlamentarischer Opposition.

Die politische Steuerung gestaltet sich in Deutschland sodann auch teilweise schwierig, da es viele AkteurInnen gibt, die als VetospielerInnen wirken. Neben dem Bundesrat ist hier das Bundesverfassungsgericht zu nennen, ebenso wie Parteien und Interessengruppen. Um gleichwohl zu angemessener politischer Regulierung zu kommen, hat sich in Deutschland eine Kultur der Verhandlungsdemokratie herausgebildet.

Rede- und Arbeitsparlament

Um die Arbeitsweise des Deutschen Bundestags näher zu charakterisieren, kann man auf die Unterscheidung Steffanis (1979) in Rede- und Arbeitsparlament zurückgreifen. Der Deutsche Bundestag kann hierbei als Mischform beschrieben werden.

Das Redeparlament erhebt den Anspruch, das wichtigste Forum der öffentlichen Meinung, die Bühne aller großen, politischen Diskussionen zu sein. Die Ausschüsse eines Redeparlaments sind eher zweitrangige Hilfsorgane, denn das Plenum ist das entscheidende Aktionsforum. Die Plenarrede dient dabei als wichtiges Mittel der rhetorischen und symbolischen Auseinandersetzung, die auf die öffentliche Meinung, die Presse und die WählerInnen abzielt. Ein Beispiel für diese Form ist das britische Parlament, in welchem die Regierung ihre eingebrachten Gesetze mit eigener Mehrheit unverändert und ohne inhaltliche Korrekturen des Parlaments durchbringt.

Im Arbeitsparlament hingegen kommt den Ausschüssen eine zentrale Rolle zu. In diesen Ausschüssen findet nämlich die politische Arbeit an Gesetzesentwürfen der Regierung statt. Änderungen an den ursprünglichen Entwürfen sind die Regel und einzelne Parlamentarier bzw. Fraktionen können ihre Positionen in die exekutiven Gesetzesentwürfe einbringen und diese entsprechend anpassen. Der amerikanische Kongress gilt als Beispiel für ein Arbeitsparlament, hier werden Gesetzesvorlagen im Einzelnen durchgearbeitet und legislative Belange bzw. verschiedene politische Positionen dadurch berücksichtigt.

Der Bundestag: eine Mischform

Der Deutsche Bundestag vereint Elemente von Rede- und Arbeitsparlament: Die meisten Gesetze basieren auf Entwürfen, die von der Regierung in das Parlament eingebracht werden. Üblicherweise arbeiten die zuständigen Referate innerhalb eines Ministeriums einen Referentenentwurf aus. Nach der Verbändeanhörung und Ressortabstimmungen geht dieser Entwurf an das Kabinett. Beschließt das Kabinett diese Vorlage, wird sie zur Regierungsvorlage und als solche in das Parlament eingebracht.

Aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag haben Regierungsentwürfe oder Entwürfe, die von den Regierungsfraktionen vorgelegt werden, eine deutlich höhere Chance auf Erfolg als Oppositionsentwürfe, die in der Regel an der Regierungsmehrheit scheitern. Dass die erfolgreichen Gesetzesentwürfe meistens von der Regierung formuliert und von der Parlamentsmehrheit im Bundestag angenommen werden, ist ein Element, dass typischerweise auf ein Redeparlament hindeutet.

Der Deutsche Bundestag weist allerdings gleichfalls Züge eines Arbeitsparlamentes auf: Im Laufe des Gesetzgebungsprozesses wird ein Entwurf nämlich nach der ersten Lesung im Plenum in die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Der federführende Ausschuss diskutiert den Entwurf nun im Detail und beschließt fast immer Änderungen. Diese finale Ausschussfassung des Gesetzentwurfes (Beschlussempfehlung) bildet dann die Grundlage für die Abstimmung in der zweiten und dritten Lesung im Plenum. Gesetzentwürfe der Regierung werden also in den Ausschüssen unter Mitarbeit aller Fraktionen regelmäßig verändert oder erweitert, was ein Merkmal von Arbeitsparlamenten ist (Rudzio 2015).

Quellen

Croissant, Aurel 2006: Regierungssysteme und Demokratietypen, in: Lauth, Hans-Joachim (Hrsg.): Vergleichende Regierungslehre. Eine Einführung, 2. durchgearbeitete Auflage. Wiesbaden, S. 113-132.

Furtak, Florian (2018): Demokratische Regierungssysteme. Eine Einführung. Wiesbaden .

Lijphart, Arend (1984): Democracies: Patterns of Majoritarian and Consensus Government in Twenty-one Countries. New Haven.

Lijphart, Arend (1999): Patterns of Democracy: Government Forms and Performance in Thirty-Six Countries. New Haven.

Rudzio, Wolfgang 2015: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 9., aktualisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden.

Salzborn, Samuel (2012): Demokratie. Theorien, Formen, Entwicklungen. Baden-Baden.

Schmidt, Manfred (2016): Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. 3. aktualisierte Auflage. München.