Hintergrund: Interessenvertretung im Föderalismus
Politische Interessenvertretung im Verband
Es gibt wohl kaum einen Verband, der keine politischen Interessen hat. Die Spitzenverbände der Wirtschaft, die Gewerkschaften oder die Kirchen sind durch politische Entscheidungen unmittelbar berührt. Auch Fachverbände und ihre Mitglieder sind von den Entscheidungen der Politik betroffen und haben deshalb ein Interesse daran, diese zu beeinflussen. Vor allem gilt dies für die hoch regulierten Bereiche wie das Gesundheitswesen, die Telekommunikationsbranche, den Verkehrssektor, das Glücksspiel oder die Herstellung von Genussmitteln. Auch für die Landwirtschaft sind politische Entscheidungen bedeutsam. Und die Arbeit der Sozialverbände hängt ohnehin in wesentlichem Maße davon ab, was der Staat an sozialen Leistungen bereitstellt.
Aber selbst kleine und vermeintlich unpolitische Verbände wie zum Beispiel der traditionsreiche Deutsche Gewichtheberverband haben politische Interessen. Er will zum Beispiel wissen, wie die Zukunft der Sportförderung aussieht, welche Gesetze zum Doping geplant sind oder wie eine Olympiabewerbung diskutiert wird. Zumindest hat er Interesse an einer vernünftigen Auslegung der DSGVO, die für seine angeschlossenen Vereine handhabbar bleibt.
Verbände müssen sich also um Politik kümmern, wenn sie die Interessen ihrer Mitglieder effektiv vertreten wollen. Dies gestaltet sich heute jedoch zunehmend schwierig, und das gleich aus verschiedenen Gründen.
Unterschiedliche politische Interessen in Verbänden
Zum einen lässt sich feststellen, dass sich die Gesellschaft und damit auch die Interessen der Verbandsmitglieder immer weiter ausdifferenzieren. Da ist es für eine Verbandsführung nicht leicht, alle politischen Interessen unter einen Hut zu bekommen. Wenn in der Gesellschaft zum Beispiel die Meinungen zum motorisierten Individualverkehr auseinandergehen, ist es für einen Verband, der wie der ADAC Millionen von Mitgliedern organisiert, naturgemäß schwierig, zu allen verkehrspolitischen Fragen einheitlich Stellung zu nehmen.
Mitunter findet eine Differenzierung auch beim einzelnen Verbandmitglied statt. Mal vertritt es diese, mal jene Auffassung, und das oft in schnellem Wechsel. Gemeinsame politische Positionen der Verbände werden dadurch erschwert. Immer häufiger hinterfragt ein Mitglied den konkreten Nutzen, auch den politischen Nutzen, einer Verbandsmitgliedschaft. Solche Spannungen können zur Lähmung oder gar zur Spaltung eines Verbands führen. Die weiter steigende Zahl der Verbände scheint dafür ein Beleg zu sein. Rund 15.000 gibt es inzwischen in Deutschland, manche davon durch Abspaltung von anderen entstanden.
Unübersichtliche politische Medienlandschaft
Unübersichtlich ist auch die politische Kommunikation geworden. Vor allem aber ist sie schneller geworden. Beides, die zunehmende Medienvielfalt und die hohe Beschleunigung der politischen Kommunikation, sind eine unmittelbare Folge der Digitalisierung. Früher sah sich ein Verbandsgeschäftsführer ARD und ZDF im Fernsehen an, hörte den Deutschlandfunk, und wenn seine Mitarbeiter mit Papier und Klebstoff dann noch einen Pressespiegel aus fünf oder sechs überregionalen und regionalen Zeitungen bzw. Zeitschriften zusammenbastelten, dann war er gut informiert.
Heute ist die Medienlandschaft kaum noch überschaubar, vor allem durch das Internet und die Sozialen Medien. Nicht nur Donald Trump twittert, inzwischen twittert fast jeder deutsche Politiker. Durch die modernen Medien ist die Kommunikation nicht nur schneller, sondern auch emotionaler und persönlicher geworden. Politiker wie Verbände gleichermaßen sehen sich deshalb heute oftmals gezwungen „eine Geschichte zu erzählen“. Zugleich ist die Öffentlichkeit gegenüber solch einer politischen Interessenvertretung kritischer geworden.
Parteienvielfalt in Bund und Ländern
Die Ausdifferenzierung der Gesellschaft wird begleitet von einer Ausdifferenzierung der politischen Landschaft. CDU/CSU und SPD scheinen ihren Status als Volkspartei zu verlieren. Die eine schneller, die andere langsamer. Und mit der AfD, den Bündnisgrünen und der Linkspartei gibt es inzwischen insgesamt schon sieben Parteien im Bundestag.
In den Ländern bietet sich inzwischen ein ähnlich buntes Bild. In keinem deutschen Bundesland kann derzeit eine Partei alleine regieren, selbst in Bayern und Hamburg nicht mehr. Im Jahr 2018 gibt es in den 16 deutschen Ländern 13 unterschiedliche Koalitionen. In fünf Ländern (TH, SH, ST, RP, BE) gibt es inzwischen Dreier-Koalitionen. Und die Große Koalition im Bund kann sich im Bundesrat nur noch auf 4 Länder stützen, die ebenfalls von einer Großen Koalition regiert werden. Diese haben zusammen 20 Stimmen. Zur Mehrheit braucht man aber 35 Stimmen. Langsam wird es unübersichtlich in der deutschen Politik.
Föderale Interessenwahrnehmung
Die bunte politische Landschaft in den Ländern ist für die politische Interessenvertretung von Verbänden vor allem deswegen schwierig geworden, weil immerhin 40 Prozent aller Gesetze der Zustimmung im Bundesrat bedürfen. Das heißt: Sie treten nur in Kraft, wenn die Länder nichts dagegen haben. Auch die Verordnungen, die die Ausführung der Gesetze regeln, müssen durch den Bundesrat. Das Abstimmungsverhalten der Länder im Bundesrat wird in der Regel in der letzten Kabinettsitzung der Landesregierung vor dem monatlich stattfindenden Bundesratsplenum festgelegt. Danach ist es nur noch selten möglich, Einfluss auf die Abstimmungen zu nehmen – trotz hektischer Korrespondenz der Interessenvertreter mit den Landesvertretungen, den Staatskanzleien und den Fachressorts der Landesregierungen. Immer wieder fällt Verbänden erst in diesen wenigen Tagen vor dem Bundesratsplenum auf, dass ihre Positionen von den Landesregierungen noch nicht einmal wahrgenommen wurden. Dies ist vor allem deshalb fatal, weil allein die Landesregierungen über das Abstimmungsverhalten im Bundesrat entscheiden.
Politische Interessenvertretung muss sich also in erster Linie an die Exekutive in Bund und Ländern halten, wenn sie dort etwas beeinflussen will. Über 70 Prozent der Gesetzesentwürfe haben ihren Ursprung in der Bundesregierung. Auch wenn eine Bundestagsfraktion einmal einen Gesetzesentwurf vorlegt, hat oftmals ein Ministerium die Feder geführt und Formulierungshilfe geleistet.
Jeder Verband, der politisch Einfluss nehmen will, muss also drei Voraussetzungen erfüllen: Er muss erstens Kontakt zur Politik halten, und zwar vor allem zu den Regierungen. Er muss zweitens dafür sorgen, dass im Verband sowohl die Bundes- als auch die Landesebene umfassend und in gleicher Weise über politische Entwicklungen informiert wird. Und er muss drittens dafür sorgen, dass er eine politische Position entwickelt, die zwischen Bundes- und Landesebene abgestimmt und von beiden getragen wird.
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