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26.10.2020 – Polit-X-Blog
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Latein im Bundestag

Auch wenn im Bundestag Deutsch Amtssprache ist, gehört es für die humanistisch gebildeten Parlamentarier*innen immer noch zum guten Ton, ihre Lateinkenntnisse heraushängen zu lassen. Eine Haushaltsdebatte – undenkbar, ohne dass mindestens ein Proverb Senecas, Ciceros oder Ovids gefallen wäre. Wir haben die Plenarprotokolle der letzten drei Legislaturperioden nach den gängigsten lateinischen Sprüchen durchforstet und mithilfe der Suchfunktion von Polit-X aktuelle Debattenbeiträge zusammengestellt.


Mitgliedern des Deutschen Bundestags wird seit jeher unterstellt, sie hätten sich zu sehr von der Wählerschaft entfremdet und würden nicht mehr die Sprache des kleinen Mannes von der Straße sprechen. Ob zur Sprache des kleinen Mannes auch das kleine Latinum gehört, ist zumindest fragwürdig. Wortkonstruktionen wie Ultima Ratio, Status quo und summa summarum fallen dennoch täglich im Bundestag. Die Liebe zum Lateinischen geht sogar so weit, dass die Sprache für Erklärungen herhalten muss, wenn die Kolleg*innen das Problem nicht auf Deutsch verstehen:

Benjamin Strasser (FDP): Sie in der Union scheinen gar nicht zu verstehen, was eigentlich das Problem ist. Ich probiere es einmal auf Latein, wenn es auf Deutsch nicht funktioniert: „Respice finem!“, möchte man Ihnen zurufen, „Bedenke das Ende!“. Plenarprotokoll 19/143 vom 30.01.2020


Als wären Haushaltsdebatten nicht schon kompliziert genug, werden sie besonders gerne mit lateinischen Sprichwörtern unterfüttert. Otto Fricke (FDP) schüttelt hier einfach mal ein Virgil-Zitat aus dem Ärmel – dessen Kenntnis im Original er natürlich bei den Parlamentarier*innen voraussetzen darf.

Vielleicht besinnen wir uns dabei auf eine unserer Grundlagen und erinnern uns an die Historie. Mir fällt zum Haushalt folgender lateinischer Spruch ein– den können dann manche übersetzen, um sich ein bisschen abzukühlen–: Timeo Danaos et dona ferentes . – Jeder kann überlegen, was das über den Haushalt aussagt. Ich löse es vielleicht gerne für diejenigen auf, die es wissen wollen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Übersetzen Sie ihn doch! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Niederländisch wäre besser gewesen!) Plenarprotokoll 19/48 vom 12.09.2018


Volksnähe heißt in diesem Zusammenhang also: Lateinische Sprichwörter auf Deutsch übersetzen. Doch auch damit macht man es nicht allen recht. Dr. Christoph Ploß von der CDU hält es kaum aus, dass sein Kollege Stefan Gelbhaar Seneca nicht im Wortlaut zitiert:

Stefan Gelbhaar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das alles zu ändern, wäre eine Ansage eines Verkehrsministers mit Ziel und Maß. Wir haben aber, wie gesagt, ein Fähnchen im Wind als Verkehrsminister. Und so bleibt mir nur, mit einem Zitat von Seneca zu schließen: „Wer den Hafen nicht kennt, in den er segeln will, für den ist kein Wind der richtige. “Vielen Dank. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christoph Ploß [CDU/CSU]: Ich hätte das gerne auf Latein gehört! – Gegenruf des Abg. Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätten zu wenige verstanden!) […] Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ploß, gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kollegen Gelbhaar? Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU): Gerne. Dann möchte ich aber bitten, dass er das Seneca-Zitat auf Latein wiederholt. Plenarprotokoll 19/161 vom 15.05.2020


Die häufigsten lateinischen Redewendungen im Bundestag in den letzten drei Wahlperioden


Unter den meistverwendeten Redewendungen (ab drei Wörtern) finden sich neben gängigen Motiven aus der Rechtsprechung auch bildungsbürgerliche Klassiker wie „Repetitio est mater studiorum“, bei denen immer etwas Oberlehrerhaftes mitschwingt. Mit großem Abstand führt „Pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten – die Liste an. Ob sich diese Idee auch konkret in der Politik niederschlägt, ist hingegen eine andere Frage. Mindestens fünf Mal ist auch der Spruch „Si tacuisses, philosophus mansisses“ gefallen – „Wenn du geschwiegen hättest, so wärest du ein Philosoph geblieben.“ Ein Konzept, das sich angesichts der vielen lateinischen Wendungen vielleicht einige MdBs zu Herzen nehmen sollten.


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