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08. Juli 2020 | Aktuell
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Wirtschaftspolitik unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft

Seit dem 1. Juli hat Deutschland für sechs Monate den Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft inne. Diese steht unter dem Motto: „Gemeinsam. Europa wieder stark machen.“ Dabei stehen wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen an, unter anderem der geplante Abschluss der Verhandlungen zum Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR), aber auch zu einer europäischen Finanztransaktionssteuer oder einem europäischen Mindeststeuersatz.

Mehrjähriger Finanzrahmen

Das Planungsinstrument für die mittelfristigen Ausgaben der EU ist der Mehrjährige Finanzrahmen. Durch ihn wird für eine Periode von sieben Jahren die verbindliche Ausgabenobergrenze festgelegt sowie die Zusammensetzung der Ausgaben der einzelnen Politikbereiche. Die Europäische Kommission legt hierfür einen Vorschlag vor, der als Grundlage gilt für die Verhandlungen im Rat der Europäischen Union, welcher dem Mehrjährigen Finanzrahmen einstimmig zustimmen muss. Politische Orientierung erhält der Rat dabei vom Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs. Der Entscheidungsprozess kann außerdem nur abgeschlossen werden, wenn auch das Europäische Parlament dem Vorschlag zustimmt.

Der Haushalt der EU besteht hauptsächlich durch Einnahmen aus den Mitgliedstaaten, den sogenannten Eigenmitteln. Diese berechnen sich prozentual am Bruttonationaleinkommen der Mitgliedstaaten. Des Weiteren geht der EU ein festgelegter Anteil der Mehrwertsteuer der Mitgliedstaaten zu sowie Zölle und Abschöpfungen, die Drittstaaten beim Warenimport entrichten müssen. Alle laufenden Ausgaben müssen ausschließlich aus diesen Eigenmitteln und sonstigen Einnahmen der EU (wie beispielsweise Bußgelder) finanziert werden.

Mit etwa 170 Milliarden Euro pro Jahr (Stand 2020) ist der EU-Haushalt recht klein: Er macht gerade einmal rund 2% der Summe der nationalen Haushalte aller derzeit 28 EU-Länder aus. Im Zuge der Coronakrise hat die EU bereits fast die gesamten verbleibenden Mittel aus dem laufenden Haushaltsplan für die Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen umgeschichtet: Insgesamt wurden 3,1 Milliarden bereitgestellt.

Einen ersten Vorschlag für den Mehrjährigen Finanzrahmen für die Periode 2021-2027 hat die Europäische Kommissionim Mai 2018 vorgelegt. Durch die Covid-19-Pandemie ist allerdings eine neue Ausgangslage entstanden, weshalb die Kommission jetzt einen neuen Vorschlag vorgestellt hat: Die grundlegenden Ideen bleiben gleich, zusätzlich soll aber ein Wiederaufbaufonds über 750 Milliarden Euro in den MFR integriert werden, um auf die Pandemie und ihre Folgen zu reagieren. DerFonds soll Maßnahmen zur Sicherung der Existenzgrundlagen sowie die Ankurbelung und den Schutz der europäischen Wirtschaft unterstützen.

Des Weiteren fordert die Europäische Kommission eine Flexibilisierung des künftigen EU-Haushaltes, damit besser auf unvorhergesehene Herausforderungen reagiert werden kann. Deshalb sollen folgende Flexibilisierungs- und Notfallinstrumente gestärkt werden: der Solidaritätsfond der EU, aus dem Mitgliedstaaten und Regionen, welche von einer Katastrophe betroffen sind, unterstützt werden können, der Europäische Fonds für die Anpassung an die Globalisierung, durch den ArbeitnehmerInnen unterstützt werden können, die ihren Arbeitsplatz infolge der Globalisierung verloren haben, sowie die Solidaritäts- und Soforthilfe, die Reaktionen der EU auf Krisen vertärken kann.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Olaf Scholz haben an verschiedenen Stellen betont, dass der kommende EU-Haushalt aufgrund der Pandemie neu aufgestellt werden müsse: Deutschland werde wesentlich mehr zum EU-Haushalt beitragen müssen, um so besonders von der Pandemie betroffene EU-Mitgliedstaaten zu unterstützen.

Wirtschaftspolitische Schwerpunkte während deutscher Ratspräsidentschaft

Weitere wirtschaftspolitische Schwerpunkte während der deutschen Ratspräsidentschaft sind, laut dem Videopodcast von Angela Merkel vom 25. April, das Vorantreiben einer europäischen Finanztransaktionssteuer und die Umsetzung eines effektiven Mindeststeuersatz.

Europäische Finanztransaktionssteuer

Bereits 2011 begannen die Verhandlungen für eine europäische Finanztransaktionssteuer, damals mit den Zielen, die Spekulation an den Finanzmärkten einzudämmen und die Banken und Börsen für die Schäden durch die Finanzkrise aufkommen zu lassen. Nach ergebnislosen Verhandlungen haben Deutschland und Frankreich im Jahr 2018 vorgeschlagen, anstatt einer Transaktionssteuer, die alle Finanzmarktgeschäfte umfasst, eine Aktienumsatzsteuer einzuführen. Der Richtlinienentwurf von Finanzminister Olaf Scholz aus dem letzten Jahr sieht einen Steuersatz von 0,2 Prozent auf Geschäfte mit im Inland ausgegebenen Aktien vor; betroffen sind nur Aktien von Unternehmen, die mehr wert sind als eine Milliarde Euro.

Eine Kritik an diesem Vorschlag lautet, dass mit diesem Vorschlag nur ein kleiner Teil des Finanzmarktgeschehens besteuert werden soll. Außen vor bleiben etwa der Handel mit Derivaten sowie der sehr spekulative Hochfrequenzhandel. Eine Regulierung der Finanzmarktspekulation sei somit nicht möglich. Zur Debatte steht weiterhin, ob Aktiengeschäfte von Pensionsfonds und Lebensversicherungen – also die Altersvorsorge der EU-BürgerInnen – von der geplanten Steuer betroffen sind oder nicht.

Scholz hat auf die Kritik reagiert und seinen Vorschlag mittlerweile dahingehend überarbeitet, dass es den EU-Mitgliedstaaten vorerst freigestellt sein soll, bereits eingeführte nationale Steuern beizubehalten. Die geplante europäische Finanztransaktionssteuer soll also nicht mehr zwingend die nationalen Abgaben ersetzen, also ein Nebeneinander unterschiedlicher nationaler Lösungen ermöglichen.

Europäischer Mindeststeuersatz

In der EU ist jeder Mitgliedstaat selbst für sein Steuersystem verantwortlich. Eine EU-weite Koordinierung der Unternehmensbesteuerung steht zur Debatte, um Steuervermeidung oder unfaire Regelungen im gemeinsamen Binnenmarkt entgegenzuwirken. KritikerInnen der unterschiedlichen Steuersätze argumentieren etwa, dass ein Steuerwettbewerb zu einer Abwärtsspirale führen könnte, was dazu führt, dass Unternehmen profitieren, die Bereitstellung öffentlicher Güter allerdings gefährdet wird. In der EU haben sich bisher vor allem Deutschland und Frankreich für eine europaweite effektive Mindestbesteuerung von Unternehmen eingesetzt. Aus der Antwort der Bundesregierung (19/18306) auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke (19/17509) geht hervor, dass sich Deutschland auch während der Ratspräsidentschaft dementsprechend einbringen möchte. Eine effektive Mindestbesteuerung soll im Wesentlichen sicherstellen, dass Unternehmensgewinne nicht unterhalb eines gewissen Mindestsatzes besteuert werden, unabhängig davon, wo sie erwirtschaftet wurden. Das Wort „effektiv“ bedeutet hier, dass sich die Mindeststeuer aus tatsächlich gezahlten Steuern auf reale Gewinne berechnet.

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Quellen

Auswärtiges Amt (2020): Deutsche EU-Ratspräsidentschaft will Corona bekämpfen und Zukunftsthemen anpacken. Online verfügbar, letzter Zugriff 27.05.2020.

Becker, Johannes/Englisch, Joachim (2019): Internationale Mindestbesteuerung von Unternehmen. In: Wirtschaftsdienst. Zeitschrift für Wirtschaftspolitik Online verfügbar, letzter Zugriff 12.06.2020.

Berschens, Ruth/Greive, Martin (2019): EU blickt skeptisch auf Scholz-Vorstoß zur Finanztransaktionssteuer. Online verfügbar, letzter Zugriff 12.06.2020.

Bertelsmann-Stiftung und Jacques-Delors-Institut (2017): Europäische Steuern: Sollte es sie geben? Online verfügbar, letzter Zugriff 12.06.2020.

BMWI (2020): Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2020. Online verfügbar, letzter Zugriff 27.05.2020.

Bundesministerium der Finanzen: EU-Haushalt und mittelfristige Finanzplanung. Online verfügbar, letzter Zugriff 28.05.2020.

Die Bundeskanzlerin (2020): Merkel fordert europäischen Zusammenhalt in Corona-Zeiten. Video-Podcast vom 25.04.2020. Online verfügbar, letzter Zugriff 27.05.2020.

Die Bundesregierung (2020): Rede von Bundeskanzlerin Merkel im Rahmen der Veranstaltung „Außen- und Sicherheitspolitik in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft“ der Konrad-Adenauer-Stiftung am 27. Mai 2020. Online verfügbar, letzter Zugriff 31.05.2020.

eu2020.de (2020): Informelles Treffen der Staats- und Generalsekretäre der Außenministerien der EU-Mitgliedstaaten. Online verfügbar, letzter Zugriff 12.06.2020.

Europäische Kommission (2020): Fragen und Antworten zum MFR und zu "Next Generation EU". Online verfügbar, letzter Zugriff 24.06.2020.

Europäischer Rat, Rat der Europäischen Union (2020): EU-Haushalt 2020. Online verfügbar, letzter Zugriff 31.05.2020.

Greive, Martin/Hildebrand, Jan/Hoppe, Till (2020): Neuer Vorstoß: Scholz bessert Pläne für Finanztransaktionssteuer nach. Online verfügbar, letzter Zugriff 12.06.2020.

Ostry, Hardy/Lippe, Frederik (2020): Was ist der MFR? Der neue EU-Haushalt inklusive Wiederaufbaufond. Online verfügbar, letzter Zugriff 31.05.2020.