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07. September 2021 | Wissen
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Entwicklung des Parteiensystems der BRD

Die Bundestagswahl naht in großen Schritten und der Wahlkampf der Parteien ist in vollem Gange. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gehen dabei sechs bundesweit etablierte Parteien ins Rennen. Dieser Artikel stellt die Entwicklung des Parteiensystems der BRD kurz dar und beleuchtet die Herausforderungen, die sich aus einem pluralistischen Parteiensystem ergeben.

von Verena Teuber


Das Parteiensystem der BRD im Wandel

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag seit der ersten Wahlperiode. Dabei lassen sich verschiedene Phasen erkennen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird: Vom "Zweieinhalb-Parteien-System", welches in den 80er Jahren (ab der 10. WP) aufgebrochen bis zu einer zunehmenden Pluralisierung der Parteienlandschaft in der aktuellen Wahlperiode.



Zweieinhalb-Parteiensystem

Ab der Gründung der Bundesrepublik Deutschland wurde das deutsche Parteiensystem von den beiden Großparteien CDU/CSU und SPD dominiert. In den sechziger Jahren konsolidierte sich in Westdeutschland ein „Zweieinhalb-Parteiensystem“ (Rudzio 2015), bestehend aus CDU/CSU, SPD und FDP. Dieses wurde weitgehend durch zwei Konfliktlinien geprägt: die sozial-ökonomische Dimension (SPD vs. CDU/CSU und FDP) und die Unterscheidung zwischen traditionell-religiöser sowie individuell-säkularer Wertorientierung (CDU/CSU vs. SPD und FDP). Sowohl SPD als auch die Union verstanden sich dabei als Volksparteien, waren also bestrebt, möglichst viele BürgerInnen mit ihren Programmen anzusprechen und in ihre Politik zu integrieren. Machtwechsel kamen in dieser Formation nur durch wechselnde Koalitionen mit der FDP zustande – ihr kam also eine Schlüsselrolle bei der Regierungsbildung zu.


Einzug der Grünen und der Linken

In den achtziger und frühen neunziger Jahren, also ab der zehnten Wahlperiode, bewirkten zwei Faktoren eine Veränderung der deutschen Parteienlandschaft: Die Gründung der Partei Bündnis 90/Die Grünen 1983 sowie die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990.



Durch den Einzug der Grünen in den Bundestag wurde die deutsche Parteienlandschaft in zwei politische Lager aufgeteilt: CDU/CSU und FDP auf der einen, SPD und Grüne auf der anderen Seite. Somit wurde das Zweieineinhalb-Parteiensystem erweitert. Mit der Wiedervereinigung Deutschlands betrat außerdem die Partei Die Linke – damals noch als PDS – die gesamtdeutsche politische Bühne.




Große Koalition

Bei der Bundestagswahl 2005, unter dem Eindruck der Reformen im Rahmen der Agenda 2010, verlor die SPD mehr als 4 Prozentpunkte, während die Linke/PDS ihren Stimmanteil verdoppeln konnte. Durch diese Entwicklung erreichte keines der beiden etablierten Lager – SPD/Grüne oder CDU/CSU/FDP – eine Parlamentsmehrheit, weshalb es zu einer Großen Koalition aus Unionsparteien und SPD kam. Im Wahljahr 2009 erlitten beide Koalitionspartner Verluste, während FDP und Linke einen Stimmzuwachs verzeichnen konnten. Dies führte im Ergebnis zu einer Regierungsmehrheit von CDU/CSU und FDP. 2013 geriet die FDP bei der Bundestagswahl erstmals unter die 5%-Hürde mit der Konsequenz, dass abermals eine Große Koalition gebildet wurde.



Einzug der AfD

Gerade in den letzten Jahren lässt sich eine immer stärkere Fragmentierung der deutschen Parteienlandschaft bei einer Asymmetrie zugunsten der Unionsparteien beobachten. Die beiden aktuellen Koalitionspartner haben sich dabei thematisch immer weiter angenähert, allerdings hatten beide gleichfalls zunehmend mit einer Mobilisierungsschwäche zu kämpfen.




Die Bundestagswahl 2017 hat das deutsche Parteiensystem in quantitativer und in qualitativer Hinsicht mehrfach verändert. Mit dem Einzug der AfD als drittgrößte Fraktion und dem Wiedereinzug der FDP sind nun sechs Parteien im Bundestag vertreten. Das deutsche Parteiensystem vollzog damit einen eindeutigen Wandel hin zu einem pluralistischen System. Mit diesem breiteren Parteienspektrum nahm auch die inhaltliche Polarisierung und die Segmentierung zu.


Erosion der Volksparteien

Zudem ist eine weitere Erosion der beiden Großparteien CDU/CSU und SPD zu verzeichnen: Zwar kamen sie zusammen noch auf eine Koalitionsmehrheit, doch mussten beide Parteien herbe Stimmenverluste hinnehmen: Die Unionsparteien haben noch nie so viele Stimmanteile verloren und auch die SPD stand noch nie zuvor derart schlecht da. Trotz dieser Verluste bleiben die Unionsparteien die dominierende Kraft, es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die seit der Nachkriegszeit herrschende Volksparteiendominanz verschwunden und die Stabilität des deutschen Parteiensystems nachhaltig ins Wanken geraten ist.


Herausforderungen eines pluralistischen Parteiensystems

Durch die Erosion der Volksparteien CDU/CSU und SPD fällt es diesen zunehmend schwer, allein oder mit nur einer anderen, kleineren Partei eine Regierungsmehrheit zu bilden. Dies hängt auch mit der erhöhten Segmentierung des deutschen Parteiensystems zusammen: Mit der AfD ist eine Partei auf der politischen Bildfläche erschienen, die alle anderen Parteien bislang vehement als Koalitionspartner ausschließen. Demgegenüber scheint eine Zusammenarbeit zwischen den Unionsparteien und den Grünen auch auf Bundesebene nicht mehr ausgeschlossen, auch wenn sich die Verhandlungen zwischen den Parteien, die letztlich doch unterschiedlichen ideologischen Lagern angehören, auch künftig schwierig gestalten dürften.

Generell zeichnen sich in Deutschland vermehrt Schwierigkeiten bei der Regierungsbildung ab. Die langwierigen Sondierungsgespräche und Koalitionsverhandlungen, stets drohende Neuwahlen sowie weitreichende Kompromisse, die inhaltlich eingegangen werden müssen, könnten die wahrgenommene Legitimität der Parteien in der Bevölkerung schmälern und zur allgemein wachsenden Politikverdrossenheit beitragen, wenn der Eindruck von Ineffizienz und politischer Unschärfe entsteht.

Ein Modell, das daher in Zukunft möglicherweise stärker in den Vordergrund tritt, ist das der Minderheitsregierung: Auch ohne absolute Stimmenmehrheit können eine oder mehrere Fraktionen einen Regierungsauftrag erhalten, sie sind dann allerdings bei der Wahl der KanzlerIn sowie bei allen Abstimmungen auf die Unterstützung von Teilen der Oppositionsfraktionen angewiesen. Eine Minderheitsregierung muss sich also ständig neue parlamentarische Mehrheiten beschaffen, um regierungsfähig zu bleiben und kann zudem sehr schnell durch ein Misstrauensvotum gestürzt werden.


Quellen

  • Alemann, Ulrich von (2018): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. 5., aktualisierte und überarbeitete Auflage. Wiesbaden: Springer VS.

  • Bundeszentrale für politische Bildung (2017): Parteiensystem im Wandel. Nachlese zur Bundestagswahl 2017. Online verfügbar, letzter Zugriff 06.04.2020.

  • Die Bundesregierung (2018): Kurz erklärt. Wie geht es weiter mit der Regierungsbildung? Online verfügbar, letzter Zugriff 06.04.2020.

  • Grabow, Karsten/Pokorny, Sabine (2018): Das Parteiensystem in Deutschland ein Jahr nach der Bundestagswahl. Online verfügbar, letzter Zugriff 25.03.2020.

  • Niedermayer, Oskar (2018): Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems. Zur Bedeutung kurzfristiger Faktoren im Jahrzehnt des europäischen Wandels. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen 49(2), S. 286-303.

  • Rudzio, Wolfgang (2015): Das Politische System der Bundesrepublik Deutschlands. 9., aktualisierte und erweiterte Auflage. Wiesbaden: Springer VS.



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